Li Bin, 45 Jahre, Pächter eines Jugendstilhauses mit deutschem Restaurant
Li Bin. Ja, er ist mein Lieblingschinese. Wahrscheinlich auch der Lieblingschinese seiner Assistentin Sarah, die ihm bei allem rund um die Uhr zur Seite steht und ehrfürchtig sagt: „Bin kann alles!“ Bin kann wirklich ziemlich viel, er ist Fotograf, ein Liebhaber der schönen Künste, auch der deutschen Kultur und spielt Cello. Vor allem aber ist er ein ausgezeichneter Geschäftsmann, würde in diesem Moment jedoch bescheiden lächeln und schnell wieder in den Keller eilen, um das nächste Brot zu backen, denn seit einem Jahr macht er nichts anderes als genau das. Aufstehen um 5.30 Uhr, Arbeit beenden um 22 Uhr. Einen Tag frei in der Woche.
„Als Chinese sollen wir immer eine Sache gründlich lernen, um was zu können. Jetzt kann ich was.“
Sagt er und zeigt mir seine kleine Backstube im Keller eines ehemaligen deutschen Marineoffzierheimes. Die großen Öfen sind schon bestellt, dann kommt der Umzug in einen großen Backraum mit Café. Li Bin ist absolut beseelt von seinem neuen Projekt und als ebenso leidenschaftlicher Fotograf fotografiert er seine Brotergebnisse wie Kunstwerke. Ich kann sie täglich auf WeChat, einem chinesischen Netzwerk, sehen. Und wahrscheinlich bin ich sogar Schuld daran.
Li Bin sagt, nach unserem ersten Treffen, ein Jahr zuvor, habe er angefangen nachzudenken. Über das Leben, das Glück, die richtigen Werte. Er sei immer nur als gehetzter Geschäftsmann durchs Leben gegangen und immer dem Geld hinterher. „Ich wollte eine richtige Wende.“ Das ist ihm nun gelungen, findet er. „Jetzt bin ich gelassener und fokussierter. Ich habe neue Lebensgewohnheiten. Und abends bin ich bei meiner Familie.“
All sein Vermögen hat er 2009 in den Wiederaufbau einer alten Jugendstilvilla von 1909 investiert, ein Gebäude, in dem einst deutsche Marinesoldaten ihren Vergnügungen nachgingen. Hier bekommt man heute sowohl chinesische wie deutsche Küche serviert. Die chinesische geht besser, die deutsche liegt Li Bin mehr am Herzen. Oder anders gesagt: die deutsche Küche authentisch anzubieten ist eine ungleich größere Herausforderung. Sauerkraut, Kartoffelbrei, Würstchen… diese Dinge. „Als Verwalter und Vertreter deutscher Kultur, muss ich meine Sache gut machen“, sagt Li Bin und demgemäß widmet er sich vor allem dem deutschen Erbe des Hauses. Und gut gemacht hat er es allemal. Die alte Villa vermittelt auf den ersten Blick den klaren Eindruck, die deutsche Zeit von vor hundert Jahren sei entfernt in Qingdao, einer Hafenstadt in China und ehemaliger deutscher Marinestützpunkt und später Kolonie, stehen geblieben, niemals sei auch nur das kleinste Möbelstück verrückt worden. In Wirklichkeit jedoch war das Haus zuletzt in verheerendem, heruntergekommenem Zustand gewesen: kleine Parzellen von Chinesen verwohnt, der Außenplatz zubetoniert.
Mühsam hat Li Bin über die Jahre jeden einzelnen Gegenstand aus aller Welt zusammen getragen, getreu nach Originalvorlagen von 1925, und alles perfekt renoviert. Sein Gespür für Ästhetik, – er hat Design studiert -, mag ihm dabei geholfen haben, dieses Wunder zu vollbringen, ohne dass die Räume heute museal oder künstlich wirken. Und er ist ein Meister des Details. Neulich bereiste er Deutschland. Er war auf der Suche nach einer fehlenden Kachel für seinen historischen Jugendstilkamin. Das kann man komisch oder amüsant finden, betritt man sein Haus, bedenkt man es mit Hochachtung. Die Kachel hat er gefunden. Über die wenigen zurückliegenden Jahre hat sein Haus und sein Geist, der darin waltet, entsprechend Wellen geschlagen. Es ist die erste Adresse in der Stadt unter den alten Gründerzeitvillen. Politiker treffen sich hier, chinesische, deutsche. An diskreten Separées am runden Tisch mangelt es nicht. Auch Gerhard Schröder lässt sich schon mal blicken. Ein Treffpunkt des internationalen Austauschs auf hohem, jedoch nicht elitärem Niveau. Das ist das Geheimnis. Die Menschlichkeit. Der gute Geist. Doch, obwohl Li Bin fast alles kann, wie seine Assisitentin sagt, Deutsch kann er nicht. Und auch kein Englisch. Aber jedes Mal, wenn ich ihn sehe, hat er auch daran ein wenig mehr gearbeitet.
Li Bin ist Mitte vierzig, Vater zweier Kinder und das Kind von Arbeitern, die in der ersten industriellen Weberei Chinas tätig waren, nämlich in Tai´an. Die Familie musste viel reisen und Li Bin oft die Schule wechseln und da er auch später mehrere Berufe durchlief, Handel von Kleidern, Handel von Wein, Eröffnung von Restaurants und vielem mehr, sagt er heute:
„Mein Leben ist wie zerrissene Scherben.“
Gerne wäre er Maler geworden, aber das wurde in seiner Kindheit nicht gefördert. Gerne hätte er Kleider entworfen oder vertrieben, aber dazu fehlten damals die entscheidenen Mittel und Möglichkeiten. Und so geriet sein Leben in den Kreisel eines typisch chinesischen Lebenslaufs, der aus einer Aneinanderreihung unterschiedlicher Businessfelder besteht. Ausprobieren, was geht. Ausprobieren, was Geld bringt. Doch immerhin ist er auf diese Weise und mit Unterstützung aus Deutschland eben auch Pächter einer deutschen Villa geworden. Das war mit Sicherheit sein größter Coup. Denn es ermöglicht ihm all seine Neigungen auf unerwartete Weise auszuleben und zu vereinen. Er macht immer Fünfjahrespläne und so darf man gespannt sein, welche Leidenschaft als nächstes seine Blüten treibt.
Sein glücklichstes Erlebnis? Er überlegt nicht lange. „Die Geburt meiner Tochter.“ Heute ist diese schon zwanzig und studiert in New York Finanzwesen. Sie soll ihrem Herzen folgen und ihre Freiheit genießen, findet Li Bin. Anders als er es konnte, aber so, wie er es jetzt weiß und allmählich umsetzt. Das Backwerk als Kunsthandwerk verstehend. Und daher selbst mit anpackend. Geschäft und Leidenschaft auf ideelle Weise und doch kapital vereint.
Li Bin. Sagte ich es schon? Er ist mein Lieblingschinese.
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