Guan Fachen, 51 Jahre: Der Millionär ist immer der Gärtner
Irgendwo in Peking. Es beginnt schon zu dämmern. Graue Betonklötze rechts und links. Vor mir im goldenen Abendlicht eine riesige, kiesige, brache Fläche. Unzählige kleine, weiße Bälle säumen den Horizont. Der ganze Ort schmucklos. Draußen pragmatisch. Drinnen lieblos, armselig und uralt muffig. Wir wundern uns. Das soll ein Golfplatz sein? Ein illustrer Ort der Reichen?
Gut, dies hier ist keine der fünf Pekinger 18-Lochanlagen mit Wiesen und frischer Luft, hier übt man einfach nur die Anschläge, stehend auf Plastikrasen über bräunlichen Kacheln. Tong. Tong. Tong. Oben, von einer der kleinen Abschussrampen aus. Schon klar. Dennoch erstaunlich wie konsequent verwahrlost dieser Ort ist, denn ein Spiel kostet auch hier immerhin 100 Euro. Dies, mutmaße ich, hat womäglich nicht nur mit der chinesischen Vorliebe für Neonlicht allerorten zu tun, sondern mit der Tatsache, dass der Golfsport in China keinen so guten Stand hat. Jedenfalls noch nicht. Schon Mao hat ihn verächtlich als Sport der Millionäre diffamiert und auch der heutigen Partei ist er noch immer ein Dorn im Auge. Der Golfsport gilt ihr als Schmelztiegel dubioser Machenschaften, weswegen sie ihn auch in den vergangenen Jahrzehnten vielfach aus fadenscheinigen Gründen sabotierte, Anlagen einfach schloss oder das Spielen gleich ganz verbot. Die Chinesen sollen Tischtennis oder Basketball spielen. Das ist besser für ihre Moral. So die herrschende Meinung von oben. Da China aber auch immer mit dem Rest der Welt im Wettstreit um Superlativen steht, und letztlich doch mehr von Wirtschaft als Sozialismus regiert wird, findet sich natürlich gerade in China gleichzeitig die größte Golfanlage weltweit. In der Nähe von Hongkong kann man so tatsächlich auf einer Fläche von nicht weniger als 3000 Fußballfeldern dem dekadenten Millionärssport frönen. Und das ist nicht alles. Diese riesige Anlage soll bald anderenorts in China an Größe noch übertroffen werden.
Jedoch der Ort, an dem wir uns hier befinden, eher still und heimlich und in guter alter, sozialistischer Unscheinbarkeit, zeugt mehr von dem unerbittlichen Wunsch der Regierung, Golf, als Ausdruck westlicher Werte, möge es besser gar nicht erst geben.
Guan Fachen, der uns hier entspannt zum Interview empfängt, stört das alles herzlich wenig. Er ist der klassische Millionär mit Vorliebe fürs Golfen statt für Tischtennis und möchte uns seinen Lieblingsort zeigen. Viermal die Woche kommt er daher hier her. Man kann es sich ausrechnen. Eine ganze Stange Geld. Wir treten auf die Terrasse, wiegen ein wenig den Golfschläger auf der Rampe in der Hand hin und her und schießen ein paar Bälle. Dann setzen wir uns drinnen in einem der Zimmer auf das Sofa mit Blick in die flächige Tristesse und hören Guan Fachen zu, wie er vom armen Bauernjungen und erster von sieben Kindern zum Millionär wurde.
Also: Guan Fachen ist, grob gesagt, Gärtner. Heute. Liebt vor allem Dalien, züchtet auch Dalien und hat in seinem Garten sogar ein Prachtexemplar stehen, welches ganze vier Meter hoch ist. Seine berufliche Laufbahn hat er, wie er sagt, mit Terminhandel begonnen. Der Terminhandel lief aber nicht gut, weswegen Guan Fachen beschloss, mit etwas anderem Millionen zu verdienen. Mal sehen… Eine Baumschule! Könnte was werden… Er entschied sich für Birken, -„die wachsen schnell“-, lieh sich jede Menge Geld, und pachtete 200.000 qm Land. Das lief leider auch nicht gut. „Die Keime kamen schwer aus den Samen“, sagt Guan Fachen bedauernd. „Nur zehn Bäume wuchsen. Ich habe sie als Denkmal stehen lassen.“ Statt jedoch zu verzweifeln und aufzugeben, holte er sich Experten und ließ sich beraten. „Dann klappte es.“ Nach fünf schweren Jahren stabilisierte sich der Ertrag. „Und jetzt“, freut sich Guan Fachen, „habe ich die besten Birken landesweit“. Er nennt seine Sorte Birke „schönstes Mädchen der Bäume“ und verkauft die Setzlinge in alle Welt. Von China bis nach Nordeuropa. Sogar Finnland. Zehn Zentimeter für 1000 Yuan. Es sind Hybridzüchtungen. Kreuzung aus chinesischer und europäischer Birke. Seine Geduld hat sich sprichwörtlich bezahlt gemacht. Und auch seine Intelligenz, findet er. Denn bald hatte er eine neue Idee, nämlich die Idee, die ihm das eigentliche Millionärskapital einbrachte. Er gründete eine Firma zur Dachbegrünung, in Peking ein Unterfangen, das neuerdings gerne gemacht wird. Besonders die Terrassierung von öffentlichen Gebäuden mit weniger als zwölf Etagen ist angesagt. Die Bezuschussung ist immens, dient einem besseren CO2-Wert, kühlt in den heißen Sommern die Räume und senkt die Stromkosten. Peking möchte eine ökologischere Stadt werden. So der Plan. Die Sache mit der Begrünung steht zwar im Verhältnis 1% zur Gesamtfläche und die Wartung der begrünten Flächen ist noch ein Problem… Aber egal, ein Anfang ist gemacht und Guan Fachen ist mit dabei, mehr noch: „Ich war damit ein Pionier in China“, sagt er und hat ganz offenbar einen guten Instinkt zur rechten Zeit bewiesen. „Ich versuche bei der Begrünung der Dächer immer die jeweilige Geschichte des Baus mit einzubeziehen“, erklärt er seine Arbeit, bevorzugt jedoch bei der Bepflanzung den deutschen Stil, „umweltfreundlich und pflegeleicht“. Die deutschen Gärten werden wegen ihrer glatten Flächen von den Chinesen oft eher als uninspiriert empfunden und schon mal verächtlich als „Kuhwiese“ abgetan, aber hier eignet sich diese deutsche Eigenschaft genau darum vortrefflich. Denn wer will schon arrangierte Hügel, Bachläufe oder eine Pagode auf seinem Dach haben?
Guan Fachens bislang größter Auftrag war die Dachbegrünung des Nationalmuseums des Tiananmenplatzes. 30.000 qm durch seine Hand begrünt. „Das ist die größte Einzeldachbegrünung Chinas“, sagt er würdevoll. In der Tat, das ist schon was. Heute hat er also nicht nur Birken, deren Wachstum er prüfen muss, sondern auch die Verantwortung für 40 Angestellte und 300 Wanderarbeiter. Er möchte seine Sache gut machen und ihnen viel Geld zahlen, sagt er. Keine Frage also: Wenn er dorthin zurückblickt, wo er hergekommen ist, kann er sagen: „Ich bin stolz auf mein Geld.“ Stolz darauf, immer durchgehalten zu haben, denn, so seine Erfahrung: „Die erste Voraussetzung für Erfolg ist Intelligenz. Und die zweite ist Ausdauer.“ Er hat sich und allen gezeigt, dass auch ein einfaches Bauernkind aufstreben kann.
Und was macht Guan Fachen noch glücklich? Na, Golf eben. „Ich möchte alle Anlagen in China erkunden.“ Als passionierter Hobbygolfer nimmt er natürlich regelmäßig an Wettkämpfen teil. „Ich habe auch ein paar Medaillen“, sagt er, „aber nichts besonderes“. Hier geht es ihm nur um Sport und Spaß, nicht ums gewinnen und höher streben. Träge blickt er in die Dämmerung des Raumes.
Und ich blicke hinaus. Der Platz ist in einheitlichem Dunkel verschwunden und hat die Tristesse nivelliert. Nacht ist Nacht. Ich schaue zu Guan Fachen. Ihm geht’s gut. Vielleicht wird er ja heimlich ein paar Setzlinge in die Ränder dieses Platzes eingraben. Hoffe ich. Oder aber ein wenig mit kreativem Grün die Betontrerrassen der Abschussrampen aufhübschen. Vielleicht. Aber, ich glaube, eher nicht. Guan Fachen räkelt sich rückhaltlos wohlig in das Plastik des weiß-gelblichen Sofas vor weiß-gelblicher Tapete und schlägt dann vor, was alle irgendwann vorschlagen: „Lasst uns essen gehen.“
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