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© Simone Harre

Deng Anqing wuchs auf dem Land auf, in Wuxue, einer Stadt in der Provinz Hubei. Seine Kindheit und Jugend waren sehr einsam. Die Eltern ließen ihn jeweils zwei Wochen im Monat alleine bei seinem sehr alten Großvater, weil sie als Bauern ihr Gemüse weit entfernt verkaufen mussten. Deng Anqing hatte Angst. Vor Ratten und vor Geistern. Besonders nachts. Es war so still und ihm war sterbenslangweilig. Er besaß nur zwei Bücher. Die obligatorische Mao-Bibel und ein Lehrbuch über Geographie von seinem älteren Bruder. Diese beiden Bücher las er in seiner Dorf-Tristesse immer und immer wieder. Irgendwann begann er, die Landkarten des Geographiebuches abzumalen und noch später zeichnete er einfach mal eigene Landkarten. Er entwarf Welten auf Papier, erdachte sich Völker und Länder und sponn Geschichten aus Buchstaben. Die Einsamkeit wurde produktiv, bunt und voller Leben. Sie entfachte in ihm eine große Leidenschaft, enorme Phantasie, einen ausgeprägten Ausdruckswillen und machte ihn damit schon früh zum Schriftsteller. So hieß sein erstes Buch auch bald:

Königreich auf dem Papier.

Wir treffen ihn abends in einem Restaurant in Peking. Er ist gut gelaunt, zuerst ein wenig genant, doch sehr gesprächig, und auf schöne und chinesisch bescheidene Art stolz auf sein Talent. „Die anderen Kinder“ erzählt er uns, „bewunderten mich immer, weil ich so viel wusste. Ich kannte viel Geografisches und sah viel fern. Ich achtete immer darauf, das aufzunehmen, was die anderen nicht interessierte. Das imponierte.“

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© Simone Harre

Damals. Heute lebt Deng Anqing in Peking. Den Ort seiner Angst und Einsamkeit hat er längst verlassen, das Land kann ihn nicht mehr ziehen, „zu wenig Geist und zu wenig Möglichkeiten“, sagt er. Inzwischen ist Deng Anqing 31 Jahre alt. Er hat Sinologie studiert, viele Berufe ausprobiert, verdient sein Geld derzeit bei einer Internetfirma, unterstützt finanziell seine Familie und veröffentlicht nebenbei sehr erfolgreich Bücher in einem großen chinesischen Volksverlag.

„Am liebsten schreibe ich über das Alltagsleben“,  sagt er, „Geschichten von normalen Leuten.“ Oft auch von Menschen aus der Heimat und die Eltern sind stolz auf ihn. Kein Wunder. Schließlich: „Es gibt wenige Schriftsteller auf dem Land.“ Und so ist Deng Anqing also ein ziemlich außergewöhnlicher König.

Und noch besser: Sein Leben ist gut so, wie es ist, findet er. „Ich bin glücklich. Glücklich mit mir allein.“ In seiner Freizeit liest Deng Anqing gerne. Besonders mag er Thomas Mann und Siegfried Lenz. Und alles könnte gut sein. Wären da nicht die Eltern, die ihn immer drängender zum Heiraten überreden wollten. „Deswegen traue ich mich nicht mehr nach Hause“, sagt er. „Ich habe Angst, ich könnte schwach werden.“ Nachgeben. Und er will doch nicht. Er hat schon mal eine Freundin gehabt, aber das war kein großes Ding. Er sagt:

„Für mich ist es nicht wichtig, ob ich eine Liebe treffe. Das Schreiben ist meine Frau.“

Na gut, denke ich, dann ist das so mit der Liebe. Aber der Sex? Was ist damit? „Kann man sich selber machen“, erwidert er und lacht. „Oder sich dafür verabreden. Geht auch.“ Der chinesische Pragmatismus eben. Unsentimental. Fröhlich. Oder wie der Kölner sagt: Et is wie et is! Und doch, dem Dasein Deng Anqings in der Gesellschaft seiner Mitmenschen haftet trotz aller Leutseligkeit noch immer eine gewisse, inzwischen eigen produzierte Einsamkeit an. Oder wie er selbst sagt:

„Zwischen meinem Leben und dem Schreiben ist für mich eine Folie. Ich habe zwei Ich. Das Ich, das im Alltag lebt und das Ich, das beobachtet.“

Und es ist ziemlich eindeutig, findet er: „Die Welt in den Büchern ist definitiv spannender und weitreichender.“ Es fehlt ja an nichts. „Dort habe ich alles. Freunde, Frauen…“ Und vor allem:

„Dort bin ich König.“

© http://www.china-blog.simone-harre.de

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