Im Garten unseres Hotels in Qingdao begrüßen wir ein ganz besonderes Paar. Wang Xiping, die Dame und Wang Junheng, der Herr. Ich denke, es ist uns Deutschen nicht so sehr bewusst, wie besonders die beiden sind. Es wäre vielleicht auch den jungen Chinesen, in deren Ohren vornehmlich chinesischer Schlagerpop walzt, nicht so bewusst.

Das hübsche alte Paar, das wir also heute in der Nachmittagssonne interviewen dürfen, sind zwei sehr alte Stars der chinesischen Peking-Oper. Beide sind schon 82 Jahre alt, was man ihnen, ehrlich, nicht ansieht. Ehrwürdig, stolz, adrett und doch klassisch chinesisch bescheiden treten sie uns entgegen. Beide sind sehr höflich, sie eher vornehm und wortführend, er eher zurückhaltend, aber von geselligerer Natur. Da sie beide von hoher Prominenz sind, sind sie allerdings etwas unsicher. Sie wissen nicht recht, ob sie uns trauen können. Aber gut, sie sind da und versuchen meine Fragen zu beantworten.

Xiping und Junheng nennen sich staatliche Schauspieler der ersten Klasse oder auch Stars der ersten Stunde und stehen fast ihr ganzes Leben auf der Bühne. Xiping begann ihre Karriere sogar schon mit neun Jahren und hat niemals etwas anderes gewollt.

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Pekingoper-damals

©Simone Harre

Es gab nur eine Unterbrechung in ihrer beider Bühnenpräsenz. Das war die Zeit unter Mao. In der Kulturrevolution. Kunst war weiträumig verboten und die paar wenigen Pekingopern, die gespielt werden durften, reduzierten sich auf propagandistische Themen und sozialistische Kleidung. Aus Angst davor, aufs Land verschickt zu werden, zog sich das alte Paar, damals noch jung, darum zurück in die Privatheit.  Sie machten einfach ein paar Kinder. Familien mit Kindern, das wussten sie, wurden nicht verschickt. Der Plan ging auf: Zwei Söhne und eine Tochter kamen in rascher Folge auf die Welt. Die Familie blieb zusammen. Außerdem schrieben sie im stillen Kämmerlein Theaterstücke. „Wenn wir nicht ein Leben auf der Bühne gehabt häten, wären wir wohl Schriftsteller geworden“, mutmaßt Xiping heute. Erst 1979, mit knapp vierzig, durften sie dann wieder spielen. Sie hatten wirklich Glück gehabt, finden sie, denn damit war nicht zu rechnen gewesen.

Xiping kommt aus reichem, aber, wie sie betont, tolerantem Elternhaus. Junheng stammt aus armen Verhältnissen. Auf der Bühne haben sie gemeinsam schon Liebespaare gespielt, bevor sie sich selbst ineinander verliebten. Seine Stimmlage wechselte im Laufe seines Lebens von der Stimme eines alten Mannes hin zur Stimme eines jungen Gelehrten. Da ihre Karriere bereits in der Zeit vor Mao lag, bekommen sie heute Rente. Was wiederum ein wahres Glück ist.

Nachfolgende Sängergenerationen können davon nur träumen. Sie bekommen nämlich nichts. „Wir sind sehr dankbar um unsere Situation“, sagt Xiping darum. „Wir sehen auch die Flüchtlinge in der Welt. Uns geht es gut.“ Sie können einen gewissen Wohlstand genießen, führen aber ein sparsames Leben. Im Sommer in Qingdao, im Winter in Xi´an. Sie unterrichten noch immer Schüler in Qingdao und haben Gastprofessuren in Shanghai. Ihre Gesundheit und ihre Stimmen sind dank guter Pflege und strenger Disziplin weiterhin in Topform. Und so freuen sie sich noch heute darüber, wenn das Publikum applaudiert. Besonders bei großen Aufführungen, ranghohen Funktionären. „Und die Kinder?“, frage ich. Sie schütteln den Kopf. „Nein, unsere Kinder haben unsere Neigung nicht geerbt.“ Sie haben andere Berufe. Ein Sohn ist sogar Schiedsrichter bei Boxkämpfen. Xiping und Junheng sehen das nüchtern. „Die Zeiten ändern sich“, sagen sie. Das ist okay. Außerdem ist die Pekingoper ja ganz allgemein aus der Mode gekommen. Da kann man nichts machen. Aber man kann auf ein gemeinsames, erfülltes Leben blicken. Eine verbindende Leidenschaft und eine immer gute Ehe. „Wir hatten keine Konflikte!“, sagt Xiping und lächelt mädchenhaft. „Wir sind gleichberechtigt!“ Was zum Beispiel meint: „Mein Mann schnippelt. Ich koche.“ Und:

„Wir legen viel Wert auf Tugend und Moral und wir äußern keine bösen Worte.“

Über ihn sagt sie: „Er hat keine schlechten Angewohnheiten.“ Über sie sagt er: „Sie hat einen klaren Charakter, ist stark und großzügig.“ Würde Junheng sich eine Blume aussuchen, so möchte er eine Winterkirsche sein. „Stark gegen außen.“ Xiping ganz ähnlich. „Eine Rose mit Stacheln. Zum Schutz.“

Schutzlos jedoch unter den Ohren der deutschen Banausen und sehr liebenswürdig geben sie uns zum Schluss im Schatten eines Baumes einen kleinen Einblick in ihre Gesangskunst. Ich hoffe, sie ahnen nicht, dass für all die Menschen, denen das Sujet Pekingoper und die chinesische Kultur fremd ist, sich der Gesang wie schlecht geölte Motoren anhört. Wir jedenfalls haben applaudiert.
© http://www.china-blog.simone-harre.de

Eine Kostprobe nach dem Interview:

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