Jährlich werden in China nach ungefährer Schätzung etwa 50-80 Ärzte in Krankenhäusern umgebracht. Erschossen. Erstochen. Die Täter sind die Angehörigen der frisch verstorbenen Patienten nach nicht geglückter Operation. Das ist ein großes Problem, denn was passiert zum Beispiel mit einem stark verletzten Opfer eines Autounfalles, dessen Überleben sehr ungewiss ist? Notoperationen will praktisch keiner mehr riskieren. Zu gefährlich. Dabei werden die Ärzte von oft mehr als achtzig Wachmännern in einem Krankenhaus bewacht. Leider jedoch sind die Wachmänner weder gut bezahlt, noch gut ausgebildet. Die Arbeit, man kann es sich denken, ist nicht sehr beliebt und wird vornehmlich von Männern vom Land ausgeübt, die in der Not alles tun, um ihre Familie in der Großstadt zu ernähren.
„Einer Statistik zufolge sollen daher etwa 70 % der Ärzte ihren Kinden davon abraten Arzt zu werden.“ Das sagt Marko Behrens, Herzchirurg aus Deutschland, und tätig in einer Klinik in Shenzhen. Er unterstützt die Chinesen vor Ort mit seinem jahrzehntelangen Fachwissen und operativen Fingerfertigkeit. Vor Misserfolg und Missetaten hat er keine Angst und er hat schon viele heikle Operationen durchgeführt, Operationen, von denen manch chinesische Ärzte die Finger lassen würden.
Zuletzt zum Beispiel verhalf er dem Ehemann der Dame auf dem Bild zu gleich drei neuen Herzklappen. „Das war wirklich ein Hochrisiko gewesen“, sagt Marko Behrens nachdenklich. „Doch wer nichts wagt, der nichts gewinnt.“ Er ist ganz Profi und legt nach der OP der Dame die herausgeschnittene Herzklappe des Ehemannes in ihre Hände. „Anfassen ist den Chinesen wichtig.“
Dass Ärzte in Krankenhäusern in Angst vor Pistolen und Messern arbeiten müssen, wäre hierzulande, wo die Doktoren noch immer als etwas wie Götter in Weiß verehrt werden, ein völlig undenkbarer Zustand. Das ist es auch für die Chinsen. Doch wie kommt es dann dazu? Lan, eine in Deutschland lebende Chinesin aus Harbin, erklärt das so: „Eine Operation kann sehr teuer sein und stürzt eine Familie mitsamt weit verzweigten Angehörigen oft in große finanzielle Not. Man legt zusammen. Manchmal bis zum Ruin. Stirbt der Patient dann doch, so ist die Verzweiflung um so größer. Verstärkt wird sie durch den Umstand, dass die Angehörigen keine Informationen von den genauen Umständen des Todes durch das Klinikpersonal erhalten. Es gibt auch keine Obduktion.“ Der Patient ist tot. Und weg.
Um das zu verstehen, ist es vielleicht hilfreich zu wissen, dass in im Alten China der Arzt schon immer eine andere Rolle einnahm als bei uns. Er besaß weder die deutsche Ärztewürde, noch ein großes Gehalt. Die Formulierung: Es sterben mehr Patienten an der Medizin denn als Krankheit, war nicht ungewöhnlich. Das Misstrauen also war schon immer groß und die Verantwortung über eine Gesundung oblag demzufolge fast ausschließlich in der Hand des Mediziners. Bezahlt wurde ebenfalls nur bei Erfolg. Gesundet der Patient aber nicht oder stirbt gar, so ist dies folgerichtig die Schuld des Arztes. Er hat sich keine Mühe gegeben.
Der heutige Ruf eines Arztes in einem chinesischen Krankenhaus sieht nicht viel besser aus. Man wirft ihm Inkompetenz, Bestechlichkeit und Desinteresse vor. Dies wiederum steht kongenial zu einem enormen Leistungsdruck und schlechter Bezahlung seitens der Mediziner. Keine gute Ausgangslage für ein glückliches Gesunden auf Vertrauensbasis.
Der Akt der Tötung eines Arztes ist so gesehen ein Akt, in dem der Chinese für einen verzweifelten Moment aus seinem duldsamen Kollektiv heraus tritt und als einzelner seine Verletzung an Seele und Ehre demonstriert.
So auch hier, unlängst in Laiwu, in der Provinz Shandong, nicht weit von Qingdao. Den Mann, den hier die Rache ereilte, war Kinderarzt. Er behandelte ein Kind mit schwerem angeborenen Herzfehler. Das Kind war auf Grund einer angeborenen Erkrankung nicht überlebensfähig und starb. Was die Natur einforderte, zahlte der Arzt mit seinem Leben.
Diese Aufnahme zeigt das aufgeregte Geschehen im Krankenhaus von Laiwu kurz nach dem Mord:
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