Schwules Paar, 28 Jahre
Wir haben einen Termin in Chengdu mit einem homosexuellen Paar. Und das ist nicht gewöhnlich. Auch, wenn wir uns nun in einer Stadt befinden, die eine durchaus lebendige Schwulenszene hat.
Es ist auch deswegen nicht gewöhnlich, weil Homosexualität in China noch immer ein sehr schwieriges Thema ist und von der Regierung gerademal in Form eines Krannkheitsbildes akzeptiert wird. Homosexuelle bewegen sich daher in einem heiklen Niemandsland, sie sind geduldet, doch ihr Vorhandensein sollte keinesfalls allzu publik thematisiert werden. Und nicht nur die Regierung beäugt die homosexuelle Szene misstrauisch, auch die Gesellschaft tut das, und entwickelt manchmal ganz besondere Theorien. Ein Taxifahrer, obgleich zur jüngeren, aufgeschlosseneren Generation gehörend, sagte zum Beispiel zu uns: „Homosexualität ist wider die Natur. Die Welt dreht sich in Zeitrichtung, Homosexualiät ist aber gegen die Zeit. Sie ist krankhaft.“ Immerhin bewertete der Taxifahrer die Homosexuellen als „Pioniere der Gesellschaft“, die nur leider etwas zu weit gegangen seien. Warum? „Das Leben dieser Leute ist langweilig, deswegen müssen sie sich extrovertieren.“ So ist das.
Was wir von unserem Termin nun zu erwarten haben, ist also klar: Extrovertierte chinesische Superschwule, die es quasi nicht gibt. Voller Vorfreude auf einen besonderen Interviewtermin stellen wir uns auf der Fahrt dorthin bereits vor, wie wir gleich in die Chengduer schwule Nachtclubszene eingeführt werden würden. Glitzerlicht, laute Musik, schrille Typen. Irgendsoetwas. Nur komisch: Warum treffen wir uns mit dem Pärchen zu so später Stunde bei ihnen zu Hause?
Naja, denke ich, noch hoffend auf einen bunten Abend, die Großstadt hat ja lange Nächte…. und so rattern wir durch die Dunkelheit an unzähligen Hochhausblöcken vorbei, in denen die Heimeligkeit des Abends in Form hübschen Neonlichtes bereits angeschaltet ist. Nach langer Suche mit dem Taxi im Gewirr identisch aussehender hinter Gitter liegender Wohnblockreihen finden wir endlich unser Ziel. Wir steigen aus. Passieren das Wärterhäuschen. Klingeln. Nehmen einen Fahrstuhl und werden in eines der oberen Stockwerke gezogen. Aloha, wir sind da. Eine große weißschwarze Langhaarkatze öffnet uns. Ach nein, hinter der Katze taucht ein Kopf auf. Ein junger Chinese mit Brille. Guten Tag.
Wir betreten eine kleine Wohnung, höchstens dreißig qm groß, die in Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche aufgeteilt ist, an einen Balkon grenzt und von liebevoller Hand gestaltet ist. Die riesige weiße Buschelkatze leitet uns hoch erhobenen Schwanzes den Weg durch den in verschiedene Bereiche abgetrennten Raum als sei dieser ein Riesenreich und macht uns mit ihrer Freundin, einer sehr hübschen weißen Kurzhaarkatze, bekannt. Für jeden der Jungs eine.
Wenn überhaupt, so sind die Katzen das Auffälligste an diesem Jungenhaushalt. Kein rosa Glitter, keine Extravaganz, eine ganz normale Wohnung. Die Jungs tragen beide Blue-Jeans und ein weißes kurzärmliges T-Shirt. Nicht sehr sexy. Ganz leger. Meine Partynachtgedanken, ich sehe es ein, muss ich streichen. Beide sehen nicht aus, als wollten sie heute noch einmal ihre Bude verlassen und auch nicht so, als täten sie dies oft.
In meinen Notizen steht an dieser Stelle der Vermerk „ohne Namen“, meint, wir dringen zwar gerade in eine sehr private Szenerie ein, doch bleibt dieser Schauplatz darüber hinaus anonym und ich nenne das junge Pärchen im Folgenden daher einfach Junge Eins und Junge Zwei.
Junge Eins bittet uns im Wohnbereich auf dem Sofa Platz zu nehmen. Junge Zwei bleibt im Hintergrund, gibt nur kurz und etwas schlaff die Hand, schiebt dann den Kopf in den Bildschirm seines Computers. Er muss noch eine Arbeit erledigen. Die Katzen, wieder beruhigt, verteilen sich geschmeidig um uns herum und sind wirklich sehr verführerisch. Vielleicht sind es ja sie, die uns später abends noch die Chengduer Nachtszene zeigen werden. Nicht auszuschließen.
Junge eins schenkt uns Wasser ein und sagt, er habe Architekturdesign an der besten Uni Chinas studiert und sei früher Designer für Ventilatoren und Heizungen gewesen. Aber die Arbeit war stressig. „Sechs Tage die Woche und immer zehn Stunden.“ Dieser Leistungsdruck…, das sei für viele junge Chinesen ein Problem. Ihn jedenfalls haben die Überstunden unglücklich gemacht. Auch, wenn er etwas falsch gemacht habr. „Dann habe ich Selbstkritik geübt.“ Junge Eins versenkt die Hand in seiner flauschigen Katze. „Ich bin fleißig“, erklärt er, „aber mir ist nicht wichtig, ob ich es weit bringen werde.“ Daher wollte er auch nicht länger für eine etwaige Karriere leiden, machte einen Cut und wechselte in seinem Job von der Technik in die Verwaltung. „Vom IQ zum EQ“, sagt er. In der Verwaltung ist Emotionalität gefragt. „Ich bin mehr von Menschen umgeben. Das tut gut.“
Nach Chengdu kam Junge Eins damals, weil er hörte, es sei eine interessante Stadt. Nicht wegen der Schwulenszene. Er war zunächst glücklich, auch mit der Arbeit und reiste viel. Aber dann wurde er immer unruhiger und begann seine inneren Nöte in Worten zu Papier zu bringen. 2010 im Frühling joggte er viel. Dabei setzte sich eine Idee in seinem Kopf fest: „Ich werde bald meine Liebe kennenlernen!“ Aber Liebe? Mann? Frau? Welch ein Durcheinander. Zu erkennen, dass er schwul ist, war ein langsamer Prozess gewesen. Erst mit 22 Jahren sei ihm ein Licht aufgegangen, im vierten Studiensemester, als er sich in einen Kommilitonen verliebt hatte. Er ging daraufhin zu einem Therapeuten. Nicht, dass er sich wirklich schlecht damit gefühlt hätte, aber wer akzeptiert schon gerne, dass er anders ist und noch schlimmer, wer akzeptiert in China gerne, die Familie zu enttäuschen? „Dieser Druck ist schwer auszuhalten“, sagt Junge Eins. Der Arzt aber beruhigte ihn fürs Erste. Nein, er sei durchaus nicht krank. Alles normal.
Gut, alles normal. Aber auch nicht ganz gut. Er joggte weiter und wartete. Und wenige Tage später war es soweit. Junge Eins war zu Besuch in Shanghai. War auf der Expo, hatte dort ausgestellt. Übernachtete bei einem Freund in Suzhou. Traf dort einen weiteren Freund, der auch übernachtete. Beide wussten bereits über email von einander und eines kam schnell zum anderen: „Wir fanden, wir passen gut zueinander!“ Im Nu war Junge Zwei aus der Taufe gehoben. Die Liebe gefunden. Und ganz ohne Schwulenchat. Seither sind beide ein eng verbundenes Paar, das sich sogar überlegt, ein Kind zu adoptieren. Einziger Streitpunkt: Junge Eins kocht scheußlich und ist unordentlich, wäscht aber seine Socken selbst und füttert die Katzen. Szenegänger sind beide nicht. Ihr Alltag ist ein ganz unspektakulärer: „Zusammen einkaufen, zusammen essen, so Kleinigkeiten.“ Junge Eins sagt: „Die Liebe besteht aus drei Stufen: Erstere ist ein heißes Gefühl, – der gefundene Kontinent – , zweitere besteht aus Anpassen, dritte Stufe ist die Harmonie, -das Geschenk des Himmels- .“ Die dritte Stufe haben sie längst erreicht. Was ein Glück! So vielen Paaren, die sich aufgrund von Geld, Prestige oder Heiratsvermittlung finden, bleibt dies versagt. Dennoch: „Die Liebe ist nicht alles“, fährt Junge Eins fort: „Wenn die Mutter und die Geliebte in das Wasser gefallen sind, wem hilft man zuerst?“ Er sieht mich an. „Na, wem?“, frage ich. „Das kann ich leicht beantworten“, sagt Junge eins. „Wenn ich mich entscheiden muss: meiner Mutter.“ Er lacht. „Jetzt muss ich nur noch meinem Freund das Schwimmen beibringen.“ Hm. Die Mutter, die Familie. Das starke Gewicht, das oft in China schwer lastend in die Beziehung hineinreicht. Für Junge Zwei ein großes Unglück, denn dort wartet man auf die obligatorische Schwiegertochter. Es ist doch das einzige Kind. Und außer Warten wird da nichts geschehen. „Vor zwei Jahren habe ich meinen Eltern erzählt, dass ich schwul bin. Aber verschwiegen, dass ich einen Partner habe. Meine Mutter weinte sehr. Jetzt sprechen meine Eltern nicht mehr darüber, aber das heißt nicht, dass sie es akzeptieren. Das tut mir weh.“ Junge Zwei, der bislang nur zugehört hat, doch schon eine Weile bei uns sitzt, hat andere Erfahrungen gemacht. Vermutlich würde er auch nicht zögern, seinen Freund als erster, also vor der Mutter, aus dem Wasser zu ziehen. Er geht mit seiner Homosexualität forscher um, offensiver. Freunde und Bekannte, alle wissen Bescheid. Er hat es aber auch leichter als sein Partner. Seine Mutter ist schon lange tot und sein Vater sehr alt. Da sind keine Erwartungen und Forderungen mehr. Geweint habe nur seine Schwester. „Aber inzwischen hat sie es akzeptiert.“ Junge Zwei sagt: „Mein Outing in der Familie war ein großartiges Erlebnis. Eine Befreiung und ein Weitergehen in eine neue Phase.“
Insgesamt wären beide natürlich glücklich, mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu erleben, nicht länger als „krankhaft“ angesehen zu werden, aber sie sind sich auch darüber einig, dass es schon viel ist, dass sie für sich selbst ihre Neigung akzeptieren können. „Viele Schwule können das nicht. Sie begehen Selbstmord oder führen eine Scheinehe. Wir aber führen ein ganz normales Leben.“ Junge Eins steht auf und holt einen Laptop. Er will uns zeigen, wie normal ihr Liebesglück und Alltag aussieht. Stolz schiebt er eine CD in das Gerät.
„Wir sind beide im Zeichen Fische geboren“, sagt Junge Zwei, „erster und zweiter März.“ Deswegen haben sie letztes Jahr ihre Geburtstage einfach zusammengelegt und zu diesem Anlass einen Film mit Fotos der letzten gemeinsam verlebten Jahre geschnitten. Diesen Film können wir nun sehen. Sehr private Bilder von intimen Freuden auf Ausflügen und im Alltag, thematisch und zeitlich geordnet. Es gibt auch die Rubrik Katzen.
Junge Eins klappt den Computer wieder zu: „Jetzt führe ich ein ruhiges Leben“, sagt er. „Ich muss auch nicht mehr so viel schreiben. Mir geht es gut.“ Junge Zwei nickt. Beide schnappen sich ihre schnurrenden Fellbüschel. Und meine letzte Hoffnung geht dahin: Es steht fest, auch die Katzen werden das Haus nicht mehr verlassen! Kein wildes Großstadtleben gilt es heute mehr zu erkunden. Schade!
Kurz darauf bringen uns die Jungs runter auf die Straße zu unserem Taxi. Unser Auto startet. Wir schauen zurück. Welch eine Impression: Dieses junge Paar, das uns noch lange als kleiner leuchtender, in sich geschlossener Punkt, jetzt im Dunklen Händchen halten, vor den großen, grauen Häusern auf der großen, grauen Straße hinterherwinkt… Ja. Glitzer und Glamour kann manchmal ganz anders aussehen.
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