Wang Mingliang, 51 Jahre, echter Mao

An einem Tag in Qingdao sitze ich mit drei Wangs in einem Auto: Der Dolmetscher Wang. Der Unternehmer Wang. Der Kalligraph Wang. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn der überwiegende Teil der Chinesen heißt Wang. Oder Li. Oder Li Wang. Aber lustig ist es dennoch. Auch die drei Wangs müssen darüber lachen.

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GallerieMao

©Simone Harre

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Jene Autofahrt ist jedoch aus ganz anderen Gründen außergewöhnlich, nein, kurios. Nicht nur, weil der Kalligraph Wang, zu dessen Galerie wir auf dem Weg sind, ein Riese ist, – er misst in etwa das Doppelte meines Dolmetschers Wang -, sondern insbesondere, weil dieser aussieht wie der lang verstorbene Staatsführer Mao Zedong. Na sowas. Die gleiche Stirnglatze, der gleiche Kleidungsstil, der gleiche Habitus. Alles ganz würdevoll. Und wie wir nun erfahren, durchaus kein Zufall. Seine Freunde hätten eines Tages zu ihm gesagt: „Du siehst aus wie Mao, mach was draus, sonst haben dich deine Eltern umsonst zur Welt gebracht.“ Er tat es. Schließlich ist sein Lebensmotto:

„Ich will etwas Großartiges in meinem Leben machen.“

Seine Frau und seine Töchter fanden die Sache mit dem Doublen anfangs nicht so toll. „Sie hatten Angst, ich könnte mein Gesicht verlieren und meine Rolle nicht richtig spielen.“ Aber, ein Glück, er machte seine Sache offenbar so hervorragend, dass er seither als Mao-Double in eine sehr bizarre Bühnenzukunft blicken kann. Er nennt sich Schauspieler der Sonderart und tourt nun eine Weile schon routiniert durch die Lande. Immer dort zugegen, wo ein Mao gebraucht wird. Als Produktgesicht, auf Werbeveranstaltungen und im Fernsehen, vielleicht bald auch im Kino. Zumindest strebt er es an. Sein Freund und Coach, der Wang, der das Auto fährt und die Karriere seines großen Freundes longiert, arbeitet so ehrgeizig daran, dass man meinen könne, er selbst sei der wiedergekehrte Saatsführer. Jedenfalls, die Chancen stünden gut, erklärt dieser uns eifrig, denn sein Freund, der ja hauptsächlich Kalligraph sei, könne etwas, was die anderen Mao-Doubles nicht können. Was das ist? Der Riese Wang grinst triumphierend:

„Ich kann im Stile Maos kalligraphieren!“

Und meint damit den sogenannten schwungvollen Gras-Stil. Stolz zeigt er uns die Imitationen mit den lebhaften Zeichenanordnungen. „Mao war auch Dichter und Philosoph“, schwärmt er auf die Bilder deutend und ja, er würde den alten Staatsführer jetzt im Alter sehr verehren. Wahrscheinlich habe er die künstlerische Ader von seinem Großvater geerbt.  Dieser sei Töpfer gewesen und habe seinem Enkel beigebracht Teekannen zu fertigen. Mit elf Jahren hatte der kleine Riese Wang außerdem in der Schule das Fach Kalligraphie und weil er darin der Beste von allen war, brauchte er keine Lehrgebühr zu zahlen. Die Begeisterung für die Kunst ist bis heute geblieben. Der große Wang zwinkert mich an und sagt: „Glück ist für mich Sorglosigkeit. Ich mache das, was ich möchte.“ Und die Sache mit dem Mao-Doublen…die hat sich eben ergeben. Aber auch irgendwie nicht. Genau genommen hat auch dies seine Wurzeln in der Familie, denn:

„Schon meine Mutter sah aus wie Mao Zedong.“

Der Riese lacht. Hohoho. Ein tiefes Hohoho. Er ist wirklich sehr lustig und freundlich. Und man mag es kaum glauben: Er ist am gleichen Tag wie Mao geboren, ein Steinbock, inzwischen einundzfünfzig Jahre alt, weswegen er findet, es müsse sich um Reinkarnation handeln. Außerdem kann er auch sehr gut chinesische Flöte spielen, – er macht es uns später vor -, aber ich fürchte, nicht so gut rechnen.

Wie wir in Deutschland über Mao denken würden, fragt der Riese. Wir schauen uns an, machen eine nachdenkliche Pause. Vielleicht ein wenig inszeniert. „Nicht so gut!“, sagen wir dann möglichst diplomatisch. Etwas leise. „Oh!“ Wir vertiefen es nicht, spüren seine Enttäuschung und werden von ihm oblgatorisch zum Essen in das Restaurant des anderen Wangs eingeladen.  Wir nennen ihn den Unternehmer. Er ist ein kleiner, wendiger, stummer Chinese mit einem dicken Auto, der uns bei einem Essen mit einem anderen Kalligraphen entdeckt hat, nun westlichen Profit wittert, und uns seither überall hinfährt, ob wir wollen oder nicht. Auf wechat, dem chinesischen Netzwerk, beschimpft er an Weihnachten die Leute, die sich in China zum Christentum hinwenden, – und das sind viele- . Er findet Jesus hat China ausgebeutet. Also die Missionare oder… Naja…irgendwie auf jeden Fall ist Mao wirklich besser und verdiene mehr Honoration als dieser Jesus. Seinen Sohn steckt er gerne in verschiedene kommunistische Karnevalskostüme und lässt ihn für Fotos unentwegt salutieren. Manchmal steckt er selbst in hellblauen Maokostümen.

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Alice

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Er hat noch ein Kind, Alice, eine nette aufgeschlossene Tochter. Die ist halt auch da. Und einen Schatten, seine Frau. Die macht Fotos. Außerdem gehört ihm das Atelier vom echten Mao und noch diverse Supermärkte, die er uns groß und viel an der Zahl ausmalt. Die dann eher… Aber ach! Beide heißen jedenfalls Wang. Der eine größer, der andere kleiner. Der kleinere gefällt mir nicht, in der Tat. Der größere schon. Das ist mein Konflikt. Wir haben wirklich Spaß miteinander. Auch findet es der echte Mao super, dass ich so groß bin. Also vergleichsweise. Er kann es sich leisten.  Er ist und denkt ja selbst gerne groß. „Ich will immer nach vorne gehen“, sagt er. Und:

„Ich bin mit dem jetzigen Moment nie zufrieden.“

Das Glas des Mao verehrenden Riesen ist demnach nie ganz voll, weder kapital betrachtet, noch im Wunsch nach Ansehen. So kann man gespannt sein, was der Unternehmer Wang noch alles aus seinem Schützling Mao Wang machen wird und wie sich das Geschäft der Kalligraphie im chinesischen Neonlicht entwickelt. Tatsache ist, ich habe in China kaum einen Ort erlebt, an dem die chineische Widersprüchlichkeit aufs Fröhlichste und Unerschütterlichste so freigemut osszilierte.

© http://www.china-blog.simone-harre.de

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