Leider kommen wir erst am frühen Morgen unserer Abreise mit Yang Zhimei ins Gespräch und leider haben wir es da eilig. Ein paar Tage lang schon huschte sie als guter Geist überaus achtsam und umsorgend in unserer wunderhübschen Bleibe in Lijiang um uns herum. Saßen wir vor unserem Zimmer auf der Terasse und blickten auf die fernen Berge, tauchte sie plötzlich auf und fragte uns, ob wir some cake haben wollten und brachte uns dann some cookies.

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Terasse-Lijiang

©Simone Harre

Wir waren jedesmal geradezu genant überrascht, denn Hotelangestellte wollen dem Gast meist nicht allzuviel Gutes. Viel häufiger hat man den Eindruck, Hotelangestellte haben Gäste noch nie gesehen und würden sie auch fernerhin niemals sehen wollen. Nicht so Yang Zhimei, deren liebevolle und ehrliche Ausstrahlung uns von Anfang an einnimmt und uns nur noch mehr der Illusion anheim gibt, an einem harmonischen und perfekten Ort zu sein. Im Nachhinein wird mir deutlich, wie sehr das Leben Yang Zhimeis an diesem Ort dem des Lamas vor unserer Hoteltür gleicht.

Ein hübsches, weißes, plüschiges Lama mit Plastikblümchen im Wolleschopf, welches tagaus tagein nur da ist, um ein Gefühl von Rührung und Wohligkeit in einer Altstadtgasse zu vermitteln und dem Gerührten Geld zu entlocken. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem Lama und Zhang Yimei und der liegt wohl vor allem darin, dass Zhang Yimei an diesem Ort der Glückseligkeit die Wärme, die sie gibt, freiwillig gibt, obgleich auch sie eine Art Gefangene hier ist und ich sie darum nicht vergessen kann.

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lama

©Simone Harre

Yang Zhimei ist achtunddreißig Jahre alt und hat eine siebzehnjährige Tochter, die in einem Jahr Abitur macht und bald studieren wird. Um über die Runden zu kommen, betreut Yang Zhimei, wie wir nun erfahren,  zwei Hotels in der Altstadt gleichzeitig. Sie ist alleinerziehend. „Endlich“, sagt sie froh. „Jetzt geht´s mir wieder gut.“ Vor drei Jahren hat sie sich von ihrem Mann scheiden lassen. Er war ein Säufer und Glücksspieler. „Kleine Probleme kann ich aushalten“, sagt Yang Zhimei, aber die Gewohnheiten meines Mannes nicht.“ Ihre Ehe, es bedarf wohl keiner weiteren Worte, war alles andere als glüchlich. „Er wusste nicht, wann ich Geburtstag habe“, fügt Yang Zhimei lächelnd hinzu. „Er hatte anderes zu tun.“ Andererseits, sie ist gewohnt, wenig Beachtung zu bekommen.

„Ich habe noch niemals Geburtstag gefeiert und ich habe noch nie Geschenke bekommen.“

Sie sagt es mehr beiläufig und vielleicht geht es vielen so. Doch sie sagt es. „Ich habe noch einen älteren Bruder“, fährt sie fort und lächelt: „Er hat Glück. Er hat eine gute Frau geheirat. Sie ist nett zu unserer Familie. Auch zu mir.“ Natürlich würde auch sie selbst gerne den richtigen Partner finden. „Aber das ist schwer.“ Yang Zhimei seufzt.  „Es ist zwar kein Problem für mich, Männer neu kennenzulernen, aber Männer, die sich für mich interessieren, wollen nur flüchtigen Sex oder es sich bequem machen.“

Als Mutter mit Kind und nicht mehr jung ist sie Ausschußware. Männer, die etwas Ernsthaftes suchen, wünschen sich etwas anderes. Auch Yang Zhimei wünscht sich etwas anderes als einen Mann, der sich durch ihr Leben schnorrt, das hat sie schon hinter sich. „Ich habe den Mut verloren“, billanciert sie darum traurig und räumt schon mal unseren Frühstückstisch ab. „Ich habe auch wenig Freunde, wenige, mit denen ich sprechen kann.“ Wir schauen zu Bo. Er nickt. Er kennt das.

„Chinesen wollen nie zuhören“, schimpft er oft. Es ist schwer, wenn man in China einsam ist, wenn man anders ist, wenn man mehr will. „Ich gehe auch nicht gerne einkaufen“, sagt Yang Zhimei gleichmütig. „Ich lese Bücher, höre Musik und versuche chinesische Harfe zu lernen.“ Auch wenn die Lehrerin nichts von ihr hält.“ Sie geht ihren Weg. Lebt ihre Werte. Aber wie schön wäre es doch, all diese Dinge mit jemandem zu teilen, der das versteht. Wie gerne würden noch mit Yang Zhimei weiterreden. Doch ein Mann mit Lederhut mit breiter Krempe steckt seinen Kopf in den Raum. Er will die Koffer holen und auf seine Karre laden. Wir müssen gehen und verabschieden uns. Das Flugzeug wartet.

Was für Yang Zhimei also Glück ist? Noch kurz zum Schluß, das liegt auf der Hand:

„Mein Glück wäre, jemanden zu haben, der mich liebt, der sich um mich kümmert. Geld spielt für mich keine Rolle. Wenig kann auch viel sein.“

Yang Zhimei winkt uns von der Tür des Hotels aus kurz nach. Das besorgte Lächeln auch jetzt. Und ich denke: Yang Zhimei ist eine, die mit dem Herzen lächelt. Yang Zhimei. Schwester des Lamas. Traurige Poesie.

PS: Wer es wissen möchte: Am 20. Oktober hat sie Geburtstag! 🙂

© http://china-blog.simone-harre.de

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