Der kleine Massagesalon
Kapitel 1
Das Erbe der TCM mag nur noch wie ein Hauch über der Kultur Chinas liegen, doch dafür findet man diesen überall. In alten überlieferten Familienbräuchen zum Beispiel oder bei Damen, die … nach man weiß nicht so genau welcher Ausbildung… andere Menschen in kleinen Salons massieren (und manchmal will man auch gar nicht wissen, was sie noch machen…), in der Verwendung von Akupunkturnadeln, die so lang sind, dass sie den Körper durchstoßen, und doch nicht spektakulärer daherkommen als das Schröpfen oder blutige Kratzen. Aus Kompetenz- und Sicherheitsgründen geht man daher manchmal besser zu den blinden Masseuren, sehr beliebt, oder kaut einfach zur Steigerung alles Möglichem auf Haifischflossen, Seegurken oder frischem Penis herum. Eselsblut sei an dieser Stelle zur Aufbesserung des Teints empfohlen. Wer Zeit hat, kann zu Hause nach der Fünf-Elemente- Lehre kochen und wer sich auch visuell verwöhnen möchte, schlendert vielleicht in eine große TCM-Apotheke, bewundert dort die Vielzahl an Kräutertöpfen und getrockneten Tieren in endlosen Holzregalen, fühlt sich erinnert an Harry Potter und weiß hoffentlich, was er dann will…
Ist man ernsthaft krank, kann man natürlich auch einen richtigen TCM-Arzt konsultieren oder ein TCM- Krankenhaus besuchen und wird dabei feststellen, dass es nie nur die eine Methode gibt. Mal gibt es eine Antlitz. oder Zungendiagnose, mal eine Puls- oder Ohrläppchendiagnose oder einen dubiosen Griff auf die Handgelenksknochen, doch fast immer einen herben Kräutersud auf Rezept. Ich liebe die TCM, finde sie äußerst schlüssig, aber nicht immer vertrauenswürdig. Nur wie erkenne ich, ob vor Ort professionell gearbeitet wird oder nicht? Denn ein kleiner dubioser Massagesalon muss nicht automatisch schlechter sein als die Behandlung durch einen TCM-Arzt in teurer Praxis.
Also erstmal prüfen. Selber prüfen… Dabei blieb mir vor allem ein Ambiente im Gedächtnis. Südlich vom Behai-Park und in der Nähe des Tiananmenplatzes in einer Seitengasse eines stilistisch etwas surreal anmutenden Einkaufsviertels sind wir heute gezielt auf dem Weg zu einem kleinen Massagesalon, den ich ein halbes Jahr zuvor mutig getestet hatte. Mutig, weil ich dort nicht etwa zu einer netten Fußmassage gewesen wäre, sondern mich stattdessen tapfer der Tortour des Kratzens unterzogen habe. Ja, des Kratzens. Nicht viele Salons bieten das an. Daher nahm ich die Chance wahr, denn ich wollte unbedingt herausfinden, was und wie schlimm diese Prozedur in Wirklichkeit ist und ob es mir trotz zu erwartenden Schmerzes auch zu Wohlgefühl gereichen würde. Kurz gesagt, diese Behandlung, während man den ganzen Rücken so lange mit einem flachen Gegenstand und viel Kraft schabt und kratzt, bis er blutet, ist wenig angenehm. Das Blut, das irgendwann fließt, – das ist das Ziel -, wird während der Behandlung immer wieder mit einem Handtuch weggewischt und gleicht einer gemeinen Folter. Aber es soll für etwas gut sein. Im Zweifel immer für das Immunsystem.
Nun, erneut auf dem Weg zu dem kleinen Salon, möchte ich wissen, was die Damen in diesem nicht sehr Vertrauen erweckenden, etwas schmuddeligen Salon, den ich aber überdies gerade darum gewählt hatte, für ein medizinisches Hintergrundwissen haben. Wir werden bald fündig und sehen: Alles ist unverändert. Auch die resolute kleine Dame, die mich letztes Mal behandelt hat, ist wieder da. Diesmal traktiert sie gerade auf der einzigen Liege des Raumes einen Herrn, der dafür flach auf dem Bauch liegt. Wir sehen zu, wie die kleine Dame auf seinem Rücken mit viel Schwung und mittels Feuerflammen ein Dutzend Schröpfgläser anpflockt und damit kleine Hautberge unter den Gläsern wachsen lässt. Der Mann ist sicher glücklich, denke ich, er weiß, er tut etwas für seine Gesundheit. Auch das darauf folgende Kratzen nimmt er darum stoisch und ohne zu klagen in Kauf. Ich vermute, er kommt oft.
Die Chefin des Ladens, eine unangenehme, unfreundliche Dame, die wir sofort böse Frau nennen, ist nicht erfreut über unser Eintreten und blickt uns schief durch ihre Riesenbrille an. Wir wollen nur eine Fußmassage. Wirft zu wenig Geld ab. Darum verdoppelt sie kurzerhand den Preis und wir haben Mühe, ihn herunterzuhandeln. Außerdem wollen wir nicht das Extra, ein ätherisches Öl, stimmen aber wenigstens zu einem Tütchen Salz zu je zehn Yuan zu, das böse Frau uns giftig hinschmeißt. Rasch und lustlos beginnt sie ihre Arbeit. Ich habe wirklich mehr erwartet, denn die kräftigen Hände der kleinen Frau waren letztes Mal nicht nur zupackend, sondern auch sehr kundig gewesen und schließlich der Grund dafür, dass ich heute wieder da bin. Also lobe ich wenigstens die vergangene Behandlung und stelle überdies Fragen zu den Massagetechniken, insbesondere das Kratzen interessiert mich. Böse Frau erkennt, dass wir doch keine ganz üblen Gäste sind, immerhin sind wir erneut da, und zollt mir außerdem Respekt dafür, dass ich mich als Deutsche der Kratzbehandlung unterzogen habe. Ob es weh getan hat? Die Frage. „Ja, hat es.“ Ich nicke. „So ist das nur beim ersten Mal.“ Man lächelt nachsichtig. Und erklärt: Kratzen, Gua Sha, kommt aus der traditionellen Volksmedizin, hat sich aber längst in der TCM etabliert und ist eine bewährte Methode bei Bluthochdruck, zum Abbau von Feuchtigkeit, Schmerzen, Körpergiften, Blockaden aller Art, beliebt bei Grippe und irgendwie fast allem. Auf jeden Fall aber etwas, das man im Westen eher nicht kennt. Auch nicht will. Zu brutal. Angesichts meiner vielen Fragen wechselt böse Frau allmählich von schnippisch zu ein ganz klein wenig freundlicher, doch nur, um uns nun zusätzlich eine Nacken-und Rückenmassage aufzuschwatzen. Denn dann, verspricht sie verheißungsvoll, könne sie auch mehr über unsere Körperdefizite aussagen.
Aha, denke ich, vielleicht steckt doch noch etwas hinter dem lustlosen Kneten meiner Füße, das lediglich „Missstimmung im Magen“ verrate. Wir nicken also, ergeben uns auch dem sehr durchschaubaren Deal einer als günstig verkauften, aber völlig überteuerten weiteren Behandlung… schließlich will ich ja auch etwas: Informationen. Und bekomme Antworten wie: „Krankheit im Winter soll man im Sommer austreiben!“ Ob ich daher nicht doch gekratzt werden möchte? Nein. Sage ich entschieden. Ob ich Massieren lernen will? Auch nein. Wirklich nicht? Geht schnell! Spätestens jetzt weiß ich: Die Damen können nicht wirklich viel.
Die Ausbildung, die sie selbst absolvierten, dauert einen Monat. Gelernt in einem Hospital. Das wars. Ebenso wie die Behandlung, die zu kurz wie zu teuer ist. Ich bin enttäuscht. Zusätzliche Infos über unseren Körper sind nur Achselzucken, also keine. Und doch kommen wir beim Bezahlen ins Schwatzen. Als böse Dame erfährt, wer ich bin, ist sie plötzlich gar nicht mehr zickig, eher zuckrig, und sagt: „Ich bin auch Kalligrafin. Ich habe ein Kalligrafiestudio. Wollt ihr es sehen? Es ist um die Ecke.“ Überrascht von dieser Wendung, nicken wir. Die Dame schnappt sich ihre Handtasche und drängt uns hinaus.
Sie steuert uns kreuz und quer durch ein Hutongviertel. Unterwegs zeigt sie uns aufgeregt Fotos auf ihrem Handy. Erst von einem Pferd. Ihr Pferd? Ihr Pferdehof? Ja. Äh…. später: Nein, der Hof einer Freundin. Und nein, sie reitet auch nicht. Sie ist nur dort, um der Besitzerin zu helfen, wenn diese eine englische Übersetzerin bei Käufen neuer Pferde braucht. Bei Englisch? Wir staunen nicht schlecht. Die Dame spricht praktisch kein Englisch. Wir laufen und laufen. Um die Ecke ist ganz schön weit. „Hier ist meine Wohnung!“, sagt sie und deutet auf ein kleines Hutong-Haus. Aber wir gehen weiter und erfahren, dass sie französischen Austauschschülern an einem Institut Chinesisch beibringt. Also vielleicht. Vielleicht auch ihrer Freundin. Vielleicht auch auf Englisch. Und laufen weiter durch die untergehende Sonne, landen schließlich in einer sehr besonderen Straße: Hutong Liulichang Dong Jie. Kalligrafiestraße seit der Qin-Dynastie. Alte Häuser, Kalligrafieläden oder Gallerien, alles sehr traditionell. Vor einem der Studios machen wir endlich Halt. Die Ecke ist angekommen und gesäumt von einem Vogelkäfig. Geschäftig führt uns die Dame hinein und zeigt uns ihre Räume. Also die ihrer Freundinnen. Okay. Es ist inzwischen lustig. Ich frage, ob sie uns ihre Arbeiten zeigen kann, von denen sie sprach. Obligatorisch. Ich weiß ja: Es gibt keine Arbeiten. „Ich bin noch am Üben“, sagt die Dame dann auch. Aber fotografieren, das können wir sie. Sie mit den Kalligrafien. Allein. Mit uns. Ob wir noch befreundete andere Kalligrafen kennenlernen wollen? Nicht mehr Böse Dame ist jetzt voll in Fahrt. Ohne uns zu verständigen, sagen Shasha und ich beide „nein“. Wir wollen nicht. Wir wollen nach Hause. Es ist schon spät. Und auch klar: Nach einer so tollen Massage und einer so aufregenden Offenbarung von Talenten und Besitztümern sind wir jetzt auch echt erschöpft. Wir verabschieden uns. Doch neugierig wäre ich schon gewesen. Was wir gelernt haben? Dass auch chinesische Frauen ganz schön dicke Hose haben können und nix drunter!
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