Li Yixuan, Anwendungschemikerin, 46 Jahre
Li Yixuan, 1969 in Shanxi geboren, lebt heute in Peking, betreibt eine milliardenschwere Firma gemeinsam mit ihrem Mann und gehört der chinesischen Minderheit der Hui an. Die Hui zählen in China etwa zehn Millionen Angehörige. Sie sind allesamt Muslime und die einzige Minderheit, die sich über eine Religionszugehörigkeit definiert. Das heißt, wenn ein Han-Chinese zum islamischen Glauben übertreten möchte, verändert er damit nicht nur seinen Glauben, sondern auch seine ethnische Zugehörigkeit und wird Hui. Die Hui stammen von türkischen, arabischen, persischen und mongolischen Händlern ab, die im siebten Jahrhundert nach China kamen, leben heute hauptsächlich im Norden Chinas, viele auch in Peking, ansonsten verstreut im Land. Als anerkannte Minderheit waren sie nie von der Einkind-Politik betroffen und dürfen außerdem heute wieder frei ihre Religion ausüben. Manche jedoch beklagen sich, dass ihnen nicht alle Berufe der Han-Chinesen freistehen und sie damit nicht die gleichen Berufschancen haben.
Nun aber sitzen wir zum Interview in einem Separee zusammen am Tisch in einem Restaurant mit Li Yixuan, die als eine Hui die meisten geschäftstüchtigen Han weit überholt hat und zu Chinas Schicht der Milliardäre gehört, außerdem ist sie eine Frau und als solche in der männerdominierten Geschäftswelt Chinas zusätzlich eine Seltenheit. Doch wie hat sie das gemacht? Qualifikation, Fleiß, Fachwissen könnte man vielleicht sagen… aber das muss erst in die richtige Bahn geleitet werden.
Auch bei Li Yixuan und ihrem Mann lief das nicht einfach von Anfang an rund. Noch 1997, als beide Angestellte einer Firma waren, verdienten sie gerade mal 240 Yuan im Monat und Aussicht auf weiteren Aufstieg war nicht abzusehen. Das erste Baby war schon da und dem jungen Ehepaar war klar, sie mussten etwas ändern, wollten sie als Familie bestehen. Nur wie? Und mit was? Li Yixuan hatte Anwendungschemie studiert und ihr Mann war ausgebildet in chemischem Maschinenbau und nannte sich zu dieser Zeit sales manager. Sie überlegten…. und entschieden sich zunächst für den Vertrieb von Erdölwärmeöfen aus Deutschland. Das funktionierte auch fürs Erste. Bis der Handelspartner in Deutschland seine Geschäfte verlegte und Li Yixuan und ihr Mann wieder umdenken mussten. Sie blieben zwar beim selben Produkt, aber statt weiter damit zu handeln, gingen sie einen Schritt weiter und kauften nun lediglich die Anteile einer Firma, welche die Ware, also Erdölwärmeöfen, produzierte. So kam schließlich eines zum anderen. Das Erdöl ist bis heute der rote Faden ihrer Arbeit geblieben oder man kann auch sagen, der rote Faden sind die Probleme, die das Erdöl mit sich bringt.
Zum Beispiel arbeitet die Firma der beiden derzeit zusammen mit der größten Gasfirma in Peking daran Restwärme von Erdgas in Leitungen effektiv in Strom zu verwandeln oder Schutzschichten für zwanzig Jahre alte Erdgastunnel zu produzieren. „Das wollen viele, aber wir haben mehr Beziehungen“, sagt Li Yixuan gleichmütig und nennt damit einen weiteren Pfeiler ihres Erfolges: die richtigen Kontakte.
Der eigentliche Hauptschwerpunkt ihrer Firma ist jedoch der Rostschutz und die Korrosion. Und hier heißt es: „Forschen, produzieren, anwenden.“ Immer auch mit einem Blick nach Deutschland. Zum Beispiel zur Autoindustrie, denn: „Ein Volkswagen rostet nicht.“ Der Rostschutz ist ein wichtiges Thema für ein wirklich breites Spektrum, so etwa in der Schwerindustrie, für die Atomkraftwerke, in der Petrochemie, in der Erdöl- und Chemieindustrie, der Kohlechemie, für die Eisenbahn, sogar für die Armee.
Was also mit Öfen begann, mündete mit einem guten Gespür für den Markt in unterschiedliche Projekte, die sich mit Industriegiften im Allgemeinen und den Problemen der Energiegewinnung im Besonderen auseinandersetzt. Li Yixuan und ihr Mann suchen nach effektiven Möglichkeiten der Neutralisierung von Schadstoffen und entwickeln Methoden, wie man anfallenden Müll verringern bzw. positiv umwandeln kann. So produziert ihre Firma zum Beispiel eine Technik, welche die Abgase der Fabriken durch eingebaute Filter verringert. „Noch nicht so gut wie in England, Deutschland oder in den USA“, sagt Li Yixuan, aber immerhin. Gleiches Interesse gilt dem Abwasser, Öl, Methangasgruben und der Abfallverwertung. Und da diese Projekte dem Allgemeinwohl dienen, erfahren sie zudem einen großen Teil staatlicher Subvention. Als Ehepaar arbeiten beide gleichberechtigt. Einziger Unterschied: Li Yixuans Mann ist alleiniger Rechtsträger seit 18 Jahren.
Li Yixuan erzählt uns all dies mit leiser, warmer Stimme. Ihre Ruhe ist bemerkenswert, eine Mischung aus angenehmer Erdung, solider Bodenständigkeit, freundlicher Zuwendung und ein wenig Schalk. Alles oszilliert dezent, aber es ist da. Ebenso wie nun das Essen, welches nach und nach in unzähligen Schalen aufgetischt wird und vorerst eine Gesprächszäsur setzt. Statt zu reden halten wir unsere Rotweingläser in die Höhe, trinken und sehen wie Li Yixuan das ihrige Glas lediglich schwenkt. „Wein darf ich nicht trinken“, sagt sie. Auch Schweinefleisch ist tabu, natürlich, ebenso wie Fische mit Zähnen. „Erst kurz vor dem Tod dürfen wir alles essen.“ Ansonsten gilt, wie für alle Chinesen: „Im Leben darf man nicht zu gierig sein.“
Nicht an alle Essensregeln würde sie sich halten, erklärt Li Yixuan unser immer wieder aufkommendes Interesse an den Regeln der muslimischen Minderheit, doch ihre Zugehörigkeit zu den Hui sei ihr durchaus von Bedeutung. So hat sie zwar einen Han-Chinesen, einen Landsmann aus Shanxi, geheiratet, ihre erste und einzige Liebe, doch die Eheschließung vollzog sie einzig unter der Bedingung, dass die Kinder, so diese der Ehe folgten, Hui würden. Ihr Ehemann akzeptierte. Kein Wunder: Li Yixuan war ein hübsches junges Mädchen mit vielen Verehrern. In ihrer Schulklasse nannte man sie sogar „Blume“. Li Yixuan selbst sagt, sie habe kein Talent für die Liebe gehabt. Vielleicht musste darum ihr Mann so lange um sie werben, bis sie ihn erhörte. Vielleicht auch nur, weil ihr das so sehr imponierte. „Er muss jedes Problem bewältigen“, sagt sie anerkennend und: „Ich fühle mich sicher bei ihm. Er ist reif und erfahren, temperamentvoll und ambitioniert und ich bin ruhig. Wir ergänzen uns.“ Als sie einmal von einer Weltreise mit ihrem Sohn zurück nach China kam, hat ihr Mann sie mit einem Blumenstrauß vom Flughafen abgeholt. „Das war Glück“, schwärmt sie. Wie für die meisten Chinesen ist die Familie und die Firma und alles, was dies im engeren Kreise einschließt, das Fundament ihres Glücks. Sind Li Yixuans Kinder gesund und froh, ist sie es auch. Geht es der Firma gut, geht es ihr auch gut. Geht es ihren Eltern gut, geht es ihr gut. Zu betonen allenfalls: „Ich möchte mein Leben auf dem Rücken meines Mannes aufbauen.“ Und das meint nicht Unterordnung, sondern gegenseitig Sicherheit geben und gegenseitiger Respekt. Li Yixuan sagt: „Viele chinesische Familien sind nicht glücklich. Die Frauen sind stärker geworden. Man möchte die Frauen gerne wieder zurückdrängen in die Tradition. Aber es war zu viel Tradition.“
Was jedoch Glück näher definiert…? Yixuan überlegt. Es kann so vieles bedeuten und „die Chinesen machen sich im Allgemeinen nicht viel Gedanken darüber.“ Sie auch nicht. „Wenn ich eine schöne Zeit verbracht habe, bin ich glücklich, denke aber nur kurz darüber nach.“ Dann gibt es ja die unterschiedlichen Lebensepochen. Die wunderbare Sorglosigkeit der Kindheit etwa. Lebhaft kann sie sich an eine sehr hohe Schaukel erinnern, welche ihr Vater zwischen zwei Bäumen gebaut hat, auch eine Wippe. Ihre Eltern waren Angestellte in einer kleinen Kreisstadt gewesen. Sie seien freundlich und streng gewesen, haben sich gut um ihre Kinder gesorgt und sie an vielem beteiligt. „Haben wir etwas gut gemacht“, sagt Li Yixuan, „bekamen wir Anerkennung. Das tat gut.“ Denn Anerkennung erhalte man nicht so oft in der chinesischen Gesellschaft. „Ich war auch glücklich, wenn ich ein schönes Kleid trug und dafür gelobt wurde oder wenn ich chinesische Klassiker las.“ Li Yixuan lächelt nachdenklich. Vieles fällt ihr nun ein. Nur Schönes. „Ich denke immer nur an die positiven Dinge.“
Und wenn sie auf die darauf folgende Studienzeit blicke, fallen ihr wieder insbesonders die Momente ein, in denen sie gelobt wurde, weil sie gute Leistung erbracht hat oder anderen helfen konnte. „Außerdem habe ich in jener Zeit meine Werte festgelegt: Warmherzig, prinzipiell, treu.“ Auch: „Man muss sich nach dem Gesetz benehmen.“ Diese Werte hat sie weitergegeben. „Meine Kinder denken und handeln sozial. Darauf bin ich stolz.“ Stolz ist sie auch, dass ihr älterer Sohn, der zunächst nicht so gut in der Grundschule war, es dann doch mit viel Fleiß auf die beste Mittelschule Pekings geschafft hat und, dass er dies selbst auch wollte, obgleich eine andere Schule viel näher gewesen wäre.
Sie selbst gehörte damals zu den gerade mal ein Prozent Schulabgängern, welche die Aufnahme an die Uni geschafft haben. „Als ich die Bestätigung zu Hause überreichte, habe ich die Gesichtszüge der Eltern beobachtet.“ Li Yixuan lacht. „Das war auch Glück.“ Leistung und Lob. Ein immer wiederkehrendes Sujet, ein Sujet, das Li Yixuan weit gebracht hat und sie dennoch nie abheben ließ. Denn auch, wenn ihr Lob ganz offensichtlich wichtig ist und das Geld eine Bestätigung guter Arbeit ist, so will sie, wenn ich sie danach frage, nichts weiter als eine einfache, unscheinbare Blume sein. Eine Blume, die ihr Glas als stets voll betrachtet. Denn: „Drin ist immer etwas.“ Das Leben ist schön.
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