Du Ming, der reiche Taxifahrer

Es ist so: Wir lernten Du Ming in seinem Taxi ganz am Ende einer zurückliegenden Interviewreise kennen, in der ich vorrangig Chinas Millionäre, Milliardäre UND Taxifahrer interviewte und diese wie gewohnt nach ihrem Leben, Glück, dem Zustand des Glases und der Wahl der Blume befragte. Und so saß auch Du Ming brav am Steuer, sich Mühe gebend, mal eben sein Glück zu focussieren. Da er gerne redet, freute er sich sogar über meine merkwürdigen Fragen und erzählte uns alsbald statt von teuren Wohnungspreisen, (wie zumeist andere Taxifahrer), von seinem illustren Reichtum, seiner deutschen Spirituosensammlung, (an der er schon seit 1978 dran ist), und davon, dass sein Glas lange nicht ausreichend gefüllt, aber eine nur leicht duftende Blume, die Zimtblüte, ihm ausreichend angemessen erscheine.

Wir hatten Glück, dass wir ihn erwischten, denn das Taxi fährt er nur noch manchmal, aus Spaß. „Es ist Hobby“, sagte er, „und ich kann Menschen begegnen“. Du Mings großer breiter Schädel, die verhangenen, schläfrigen Augen und die Zeitlupenbewegungen eines massigen Körpers assoziieren eher einen pfundig selbstvergessenen Bauern hinter einem Ochsenkarren als den chinesischen Businessmillionär mit Aktentasche. Und doch ist dieser Mann, der elf Jahre im Militär zubrachte und Vater zweier Kinder ist, ein cleverer Geschäftsmann, muss er sein, denn er ist stolzer Besitzer von 27 Autos, 27 Fahrern und einem ungefähren Karosseriewert von 20 Mio Yuan. Das ist schon: Wow! Nun, da wir erneut in Shanghai sind, hat Du Ming uns zu einer zweiten Begegnung zu sich in seine Privatwohnung im Shanghaier Osten eingeladen. Hier sollen wir sein stattliches Museum chinesischer Reichtümer und seine  deutschen Weine bestaunen, denn nebst Autobesitzer ist er vor allem Sammler wertvollster, antiker Gegenstände. Wir sind gespannt. Wie lebt wohl ein reicher Taxifahrer? Und wie groß mag sein Museum sein?

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©️SimoneHarre

Mit einem Taxi fahren wir also zu unserem Taxifahrer. Du Ming erwartet uns schon und öffnet die Türe. Wir treten ein. Die Wohnung ist klein und verhangen von obligatorischen Neonröhren. In jeder Ecke steht chinesischer Nippes und wirkt aufgrund des grellen Lichtes wenig würdig. An einem massiven Teetisch aus Holz nehmen wir Platz. Das Teezeremoniell darf nicht fehlen.

Hundevater und Hundesohn kommen misstrauisch näher. Ebenso Ehefrau Nummer zwei in Leggins, im Arm einen weiteren Hund, sonst stumm und wie ihr Mann im Anorak, denn so viel gibt der Heizlüfter in der Ecke des Raumes nicht her. Wir haben Winter. Kältester Winter in Shanghai seit dreißig Jahren. Wir schauen uns um, sind etwas genant und fragen uns: Wann wird Du Ming uns wohl sein „Museum“ zeigen? Warten höflich, unterhalten uns über dies und das…  Und es dämmert uns nur langsam: Die Wohnung IST das Museum. Okay??? Nun betrachten wir den Nippes genauer, doch ein „Oh!“ entfährt uns immer noch nicht. „Man muss sich schon auskennen“, erklärt Du Ming, dessen Augen nicht so blind sind wie unsere. „Und Erfahrung haben, denn die Zertifikate sind meistens gefälscht.“ Du Ming kennt sich aus. Es hat ihn reich gemacht. Er sammelt und handelt seit 20 Jahren mit antiken Artefakten, hauptsächlich aus der Ming- und Qing-Dynastie. Erst neulich hat er ein Riesenschnäppchen gemacht, erzählt er, und einen wertvollen Tisch aus der Qing-Dynastie ergattert. Einene echten. Sechs Millionen Yuan ist er wert. Du Ming  hat fast nichts dafür bezahlt. „Alle Gegenstände hier haben eine Geschichte“, sagt er und deutet rundum auf das Wohnungsinventar. Es ist seine Rente, könnte man sagen, jederzeit bares Geld, doch inzwischen mag er sich von nichts mehr trennen. Muss er auch nicht.

Bevor er uns nun die Werte der einzelnen Gegenstände in dieser unauffälligen Wohnung zeigen wird, füllt er noch ein wenig Tee aus einer achtzig Jahre alten, vom Opa geerbten Kanne in unsere kleinen Tässchen und erzählt, dass er in den achtziger Jahren eine Bar betrieben hat. Danach eine Tanzhalle und dann ein Restaurant. „Ich kann gut kochen“, sagt er. Tat dies aber nicht lang und stieß das Restaurant wieder ab. Das war der Zeitpunkt in seinem Leben, wo er zum ersten Mal richtig viel Geld auf einmal in den Händen hatte. Was für ein Gefühl!!! „300.000 Yuan in bar.“ Ein beachtlicher Stapel. „Es gab ja noch keine Kreditkraten“, sagt Du Ming. Mit dem zurück gewonnenen Geld pachtete er daraufhin 1996 gemeinsam mit seinem Schwager ein wenig Land, baute darauf einen buddhistischen Tempel, lud Mönche ein und vermietete an diese teure Urnenplätze. „Damit kann man Geld machen“, sagt Du Ming stoisch, selbst Mitglied im buddhistischen Verein in Shanghai. Ganz offenbar. Du Ming hat Spürsinn für aktuelle Bedürftigkeiten der Gesellschaft. Während er hauptberuflich zu dieser Zeit noch Taxifahrer war, begann er aber nun zusätzlich bei befreundeten Antiquitätenhändlern in die Lehre zu gehen. Den Taxidienst leistete er für einen Freund, einen Immobilienmakler. Als dieser plötzlich ins Gefängnis musste, entschädigte dessen Frau Du Ming mit einer Wohnung. Schon wieder Glück. Nun hatte er zwei Immobilien. „Mein Vater war Beamter im Außenministerium“, erzählt er, „und mein Großvater war Geschäftsmann, er hatte ein Kaufhaus.“ Also bis zur Kulturrevolution. Dann war alles futsch. In den Achtzigern wurde dann auch sein Elternhaus abgerissen. Aber immerhin: „Dafür wurde ich von der Regierung entschädigt.“ Er bekam neues Eigentum und auch Geld. Daher die zweite Wohung, bzw. die erste. „Chinesen definieren sich über Wohnungen, das ist wichtig“, sagt er, und nüchterner Geschäftsmann, der er inzwischen war, verspielte er den Einsatz auch nicht wie so viele andere Chinesen, die mit der plötzlichen Geldsumme durch eine Entschädigung nicht umgehen können. Er steckte es stattdessen in seinen wachsenden Reichtum,  begann mit dem Kauf chinesischer, vielversprechender, alter Objekte und gesellte sie zu den wertvollen Erbstücken seiner Eltern. Die Sache mit den Autos begann erst 2009 zur Expo. Viele Fahrzeuge und Fahrdienste wurden benötigt, er besorgte beides und sagt: „In China ist es besser geworden. Die Politik ist lockerer und wir dürfen Geschäfte machen.“ Und auch wichtig: „Wir dürfen ins Ausland gehen.“ Das ist besonders gut, denn: „Im Ausland ist es nicht so laut wie bei den Chinesen.“ Es gibt guten Wein wie in Deutschland und saubere Landschaft wie in Sri Lanka. Sri Lanka ist Du Mings Favorit. Aber auf jeden Fall: Du Ming liebt die Entschleunigung. Er findet, die Menschen müssen zufrieden sein. „So wie ich. Ich habe Geld verdient. Jetzt bin ich entspannt.“ Allerdings, findet er, er hat, anders als die hitzige Jugend, die sich noch beweisen muss, seine Anstrengungen einfach schon hinter sich und führt heute ein gemächliches Leben, angefüllt mit dem, was ihm über die Laufe der Jahre ans Herz gewachsen ist. Zum Beispiel mit seiner Frau. Er hat sie 1992 in einem Hotel kennengelernt. Sie war Empfangsdame, „schlank und schön“ und er machte ihr umgehend einen Heiratsantrag. Seine Frau liest gerne Bücher. „Sie sammelt sie“, sagt er, „klassische Bücher im Set“ und teilt mit ihm außerdem die Hundeliebe. „Wenn ich sechzig bin“, so ist Du Mings Plan, „dann kaufe ich ein Stück Land für die Pflege obdachloser Hunde.“ Ein wenig kümmert er sich jetzt schon. Vater und Sohn Hund sind von der Straße, Mutter Hund wollte obdachlos bleiben. „Leider“, sagt Du Ming, so weiß sie nicht wie Calciumpulver und Eiweiß schmecken, denn das bekommen seine Lieblinge.

Außer mit seiner Frau vertreibt er seine Freizeit gerne mit seinen Freunden. „Dann sitzen wir zusammen, essen, ich zeige ihnen meine neuesten Errungenschaften… aber es gibt keine Spiele.“ Das zu betonen, ist Du Ming wichtig. Am liebsten kocht und isst er Steak. Nur zu bestimmten Zeiten, dann, wenn der Buddhismus es vorschreibt, isst er kein Fleisch. Dann entzündet er stattdessen Räucherstäbchen und geht ins Kloster. Der 8. April ist so ein Datum. Buddhas Geburtstag. „Schon meine Großeltern waren Buddhisten“, sagt er, steht endlich auf und zeigt uns im Nebenzimmer die seit zwanzig Jahren in Plastik eingepackte und so vor Staub geschützte, buddhistische Schutzgöttin Guanyin, sitzend in einem großen, roten Schrein, dienlich den Taxifahrern. Außerdem hält er uns einen mächtigen, kugeligen Buddha aus Jade hin. „Dafür habe ich viel Geld bezahlt“, kommentiert er das schwere Stück. Er musste es kaufen. „Die Mönche sagten, der hat einen so dicken Bauch wie ich.“ Du Ming lacht. „Das ist gut. Ein dicker Bauch bringt Glück.“ Er öffnet die Vitrine im Wohnzimmer und entnimmt einzelne Gegenstände. Zum Beispiel ein 400 Jahre altes Weihrauchgefäß mit Drachenkopf vom kaiserlichen Hof. Es ist 350.000 Yuan wert und wichtigster Gegenstand in Du Mings Sammlung. Selbst der darin sich abgesetzte Weihrauch ist historisch und steigert den Wert des Gefäßes. Ein anderes Ding ist ein bunter Teller, Waschbecken einer reichen Familie, ebenfalls 400 Jahre alt und 1,2 Millionen Yuan wert. Ich hoffe, Bo, mein Dolmetscher, übersetzt alle Zahlen richtig. Du Ming jedenfalls ist sich seiner Sache sicher. „Ich kann meine Waren gut schätzen“, sagt er. Auch ein langer Elfenbeinzahn mit vielen Verzierungen findet sich im Regal, Reichtum symbolisierende Drachen aus Jade, Sternzeichenartifakte und dazwischen eine kleine Maoplakette, wahrscheinlich wenig wertvoll. Im unteren Teil des Schrankes stehen jede Menge kostbareTeekannen. Damit sie wertvoll bleiben, muss Du Ming sie alle zwei Wochen mit einem speziellen Tuch reinigen und waschen. Er zeigt wie.

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Du-Mings-Kostbarkeiten

©️SimoneHarre

Die Sammlung deutscher Spirituosen jedoch, die großartige Sammlung, an der er schon seit Jahrzehnten dran ist, die ist wirklich armselig und ergibt nicht mehr als ein halbes Duzend durchschnittlicher, gewöhnlicher Weine und Hochprozentiges.

Interessanter dagegen sind die an der Wand hängenden Kalligraphien. Eine ist ein Bild mit Schriftzeichen, gefertigt von einem buddhistischen Mönch: „Der Mond steht am Himmel. Zenbuddhistisch und ruhig…“, so die Inschrift des Bildes. Auf einer anderen Kalligraphie sind Esel zu sehen. „Hier zahlt man jeden Esel einzeln“, erklärt Du Ming. „Das Bild ist von einem berühmten Maler.“ Und deswegen ist es, so unscheinbar es mir erscheint, 40.000 Yuan wert. Besonders beeindruckend finde ich einen riesigen alten Jadestein. Ein richtiger Brocken, entsprechend drapiert auf orangenem Tuch und Podest. Er ist 200 Jahre alt und, versichert Du Ming, soll viele Millionen wert sein.

Müsste Du Ming sich von etwas trennen, überlegt er, so wären es doch wohl als erstes die Kalligraphien. „Aber seit sieben Jahren verkaufe ich nichts mehr.“ Er hängt an allem. In einem Safe verwahrt er noch so manch anderes Edles, ebenso gibt es weitere Gegenstände in seiner Stadtwohnung. Was aber wird mit all den Dingen nach seinem Tod geschehen? Ich frage. Du Ming zuckt mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung.“ Vielleicht werden es die Kinder zu schätzen wissen. Doch ob sie dann damit umgehen können? Man wird sehen. Seine Tochter aus erster Ehe arbeitet in Dubai bei einer Firma für Aufzüge. Der Sohn aus zweiter Ehe studiert noch. Und irgendwie ist diese Frage Du Ming gar nicht so wichtig. „Familie und Besitz kommen und gehen.“ Und das Generieren von Reichtum hat etwas von einem Spiel. Seine Eltern, die selbst all ihr Reichtum verloren haben, sind längst tot, nur die Eltern seiner Frau leben noch. „Wir gehen manchmal mit ihnen essen“, sagt Du Ming.“ Das ist mein größtes Glück“. Und Essen gehen möchte er jetzt auch mit uns. Das ist ja klar. Denn auch hier möche er zeigen, was er kann:

Wir steigen in Du Mings Auto und fahren zu einer Bio-Farm, ein riesiges, grünes Gelände, ein richtiger Park. Ferienhäuser gibt es auch. Vor allem aber ein ganz besonderes Restaurant.  Das Essen dort ist wahrhaft kaiserlich und Du Ming lässt es sich nicht nehmen, eine ausgesprochen teure Delikatesse zu servieren. Den sehr giftigen Kugelfisch direkt aus dem Yangtze. Platz 10 auf der Liste der teuersten Lebensmittel der Welt. Preis pro Kilo 500 Euro. (Platz 1 ist übrigens Tee aus Panda-Kot!) Kann der Koch ihn nicht richtig zubereiten, stirbt der Gast. Eine alte, bewährte und sehr unauffällige Tötungsmethode im alten China. Auch noch im neuen? Ihn zu essen, ist schon etwas komisch.

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Kugelfisch

©️SimoneHarre

Oder besser im Nachhinein… denn, dass diese Delikatesse, die für unsere Gaumen gar nicht so außergewöhnlich geschmeckt hat, tatsächlich Kugelfisch war und es Du Ming ein Vermögen gekostet haben muss, erzählt uns Bo erst, als wir glücksbenommen von einem überwältigenden Essensfeuerwerk wieder auf der Autobahn Richtung Innenstadt stehen und winkend auf einen neuerlichen Taxifahrer warten. Du Ming aber, der unerwartet reiche Taxifahrer, dessen Namen dem einer chinesischen Epoche gleicht, verabschiedet sich und schiebt seinen riesigen Bauch und seinen massigen Schädel in sein Luxustaxi. Du Ming. Ich finde, sein Name ist Programm.

©️ http://china-blog.simone-harre.de

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