Portait: „Die Kunst ist mein Leben. Nicht mein Verdienst.“ Xiu Fangzhou, der Millionär am Vormittag.

„Sie suchen einen Millionär?“ Der Vizebürgermeister von Qingdao überlegt kurz. Wir sind beim Essen. Ich nicke, er nimmt sein Handy heraus, hackt schnelle chinesische Worte in den Hörer, legt wieder auf und sagt: „Hier haben Sie einen. Morgen früh zehn Uhr.“

„Okaaaay!?“, sage ich, „schön“ und „danke“ und denke: Zu dumm. Wollte ich doch an dem kurzen, verbleibenden Vormittag vor dem Abflug  endlich mal eine Pause einlegen. An den Strand gehen vielleicht. Irgendwas Schönes machen. Entspannen. Auf jedenfall keinen Termin. Und jetzt habe ich diesen Millionär. Und nicht nur, dass ich an diesem Morgen einfach keinen Millionär haben möchte, ich ertappe mich auch noch dabei, dass ich einen chinesischen Millionär mit üblen Assoziationen versehe: Fett, selbstgefällig, geistlos. So in etwa. Oh je. Doch schließlich, damals war es mein erster. Und ich hatte wirklich eine Pause nötig.

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MuseumSchwimmbad

©Simone Harre

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©Simone Harre

Der nächste Morgen, gemütlich geplant, wird nun wie erwartet hektisch. Schnell Koffer packen, schnell frühstücken, ab ins Taxi, sehnsüchtiger Blick zum Strand, irgendwo ausgespuckt werden. Umschauen. In ein deutsches Jugendstilhaus reinstolpern. Umschauen. Huch, ein Museum. Warten. Schauen. Warten. An den Strand denken.

Schließlich kommt ein hageres, freundlich aufgedrehtes Männlein auf uns zu und reicht uns die Hand zur Begrüßung. Wir schauen uns fragend an. Ist er das? Ist das der fette, selbstgefällige, geistlose Millionär? Wir sind uns nicht sicher. Aber wir folgen ihm. Das hagere Männlein stellt sich als Xiu Fangzhou vor und führt uns sogleich durch die Räume. Schöne Räume. Den Jugendstil gewahrt in dezenter Farbgebung und ebenso dezenter Darbietung der Kunst. Die Bilder sind sparsam platziert, die Motive nur leicht variiert. Das Männlein erklärt uns, dass es hier alle zehn Tage eine Wechselausstellung gibt. Immer wieder darf so ein anderer Maler hier ausstellen, momentan sehen wir den 107.  Künstler. Die Aufgabe: gründerzeithistorische Stadtansichten von Qingdao in einen jeweils eigenen Stil fassen. Das ist das Konzept. Die immer gleichen Ansichten von immer anderen Künstlern. Wo keine Bilder hängen, stehen Büsten von europäischen Größen, Dichtern und Denkern. Im Garten, nebst einem 120 Jahre alten Gingkobaum, gibt sich ein großer bronzener Beethoven die Ehre. Wie in China fühlen wir uns hier nicht. Wie bei einem bräsigen Millionär auch nicht. Sind uns aber inzwischen sicher: Xiu Fangzhou ist der Mann, der mir den Strand gestohlen hat. Nun freue ich mich darüber.

Xiu Fangzhou, gebürtig in Qingdao, ist 46 Jahre alt und so zapplig, dass man meint, er erleidet augenblicklich einen Herzschlag. Er war in früheren Zeiten Chinesischlehrer und Reporter und hat für Zeitschriften und Theater geschrieben oder wie er es formuliert: „Ich habe über eine Million Schriftzeichen veröffentlicht!“ Diese Superlative, unter der ich mir nichts Konkretes vorstellen kann, tauschte er jedoch gegen eine andere Superlative ein: Nämlich big bussiness in der Immobilienbranche. Dort verdiente er von 1993 an als Teilhaber einer Immobilienfirma richtig viel Geld. So viel Geld, dass er irgendwann, gesättigt von Erfolg und dicker Tasche, sagen konnte: „Auf diese Branche habe ich keine Lust mehr.“ Außerdem regte sich in ihm immer deutlicher der Wunsch an das anzuknüpfen, was er zuvor gemacht hat: Kultur. „Das Kulturelle ist schon in meinem Elternhaus angelegt gewesen“, sagt er. Die Mutter war Ärztin, der Vater Agrarwissenschaftler. Und so lautete sein vager Gedanke: „Endlich wieder was mit Kunst machen.“ Was, war noch nicht klar. Aber als er vierzig wurde begann er immerhin schon mal sein Lebensmotto zusammenzufassen: „Fleiß, sonnig, Weisheit.“ Der Rest würde kommen.

Und er kam. In der Form eines Gemäldes. Xiu Fangzhous Frau, die als hohe Bankerin in Peking lebt, schickte ihm eines Tages ein Bild eines heimatlichen Künstlers. Angetrieben von der Begeisterung seiner Frau, machte sich Xiu Fangzhou sofort auf den Weg, den Künstler jenes Bildes zu suchen. Er fand ihn und kaufte ihm ebenso spontan alle seine Bilder ab. Nun hatte  Xiu Fanghzou etwas mit Kunst in seinen Händen. Aber war es das, was er wollte? Ein Haufen Bilder? Was sollte er damit anfangen? Als sich dann vor zwei Jahren die Gelegenheit bot, eine alte Jugendstilvilla aus dem Jahre 1910 zu kaufen, war klar, was er mit dem Haufen Bilder machen könnte. Genau. Ein Kunstmuseum. Die Freunde verspotteten ihn. „Das schaffst du nicht“, sagten sie. „Aber ich habe es geschafft. Ich bin meinem Herzen gefolgt“, sagt Xiu Fangzhou. „Es ist das, was ich wollte. Es macht mir Spaß und die Leute finden, ich habe etwas Warmherziges gemacht.“ Geld bringt das Museum zwar nicht ein, obgleich es sehr erfolgreich läuft, – jedes Jahr 100.000 Besucher, das ist schon was-, aber das ist egal. Das Museum ist vor allem für Xiu Fangzhous Vergnügen da. „Es verstärkt mein Glück“, sagt er.

Die Bauphase war allerdings wirklich anstrengend. Xiu Fangzhou bekam starke Herzprobleme und machte darum für alle Fälle ein Testament. Das war wichtig, denn: „Die Seele muss frei sein. Der Tod ist jederzeit möglich.“ Doch seit der Eröffnung läuft alles rund und reibungslos und stressig ist es auch nicht mehr. „Alle sind stolz auf mich. Ich komme morgens um neun zur Arbeit. Man vertraut mir, ich bin hier selbst wie ein Angestellter.“

Wir gehen von Raum zu Raum und sind wirklich beeindruckt von dem feinen Gespür, mit dem es Xiu Fangzhou gelungen ist, diese altehrwürdige Villa in ein modernes Museum umzuwandeln und gleichzeitig das Alte zu wahren. Man spürt in jedem Zentimeter: Hier waltet ein reger Kunstgeist, der sich endlich ausleben kann. Besonders gefällt mir das ehemalige Schwimmbad, das Xiu Fangzhou begehbar gemacht hat. So als würde man über Wasser laufen.

„Ein glücklicher Geist wohnt in einem gesunden Köper“, kommentiert Xiu Fangzhou die Vollendung seines Hauses und das Glück, das  dieses ihm beschert hat und zitiert damit den Philosophen Epikur. Xiu Fangzhou hat jetzt alles, was er braucht. „Ich gehe nicht oft aus, ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich widme mich hauptsächlich der Arbeit.“ Und vor allen Dingen liest er ziemlich viele Bücher, 400 in einem Jahr, sagt er. Behauptet er. Am liebsten mag er die chinesische Literatur. Von den Ausländern bevorzugt er das Französische, besonders Dumas. „Zu Hause archiviere ich 20.000 Bücher.“ Wir nicken und fragen uns, wie man 400 Bücher in 365 Tagen liest oder wie diese Bücher dann aussehen. Leider tickt die Uhr, wir werden allmählich nervös. Das Flugzeug wartet. Aber auch Xiu Fangzhou ist nach wie vor voll geistiger Unruhe. Schießlich hätte er in der Zeit unseres Besuches locker ein weiteres Buch lesen können. Oder zwei. Gut, dass wir gleich gehen müssen. Gut auch vielleicht, überlege ich, dass seine Frau so weit weg wohnt. Sage ich auch.

Xiu Fangzhou lacht. „Ja, die Kunst ist mein Leben.“ Mehr kommentiert er meine Frage nicht. Aber er freut sich, dass seine Tochter, die mit seiner Frau in Peking lebt, Philosophie studiert. Der Apfel fällt auch in China nicht weit vom Stamm. Und apropos Apfel. Essen geht immer. Xiu Fangzhou besorgt noch rasch ein paar Teigtaschen, die wir hastig herunterschlingen. Und dann steigen wir ins Taxi. Glücklich vor allem darüber, so positv von Ort und Mensch überrascht worden zu sein und beschämt und auch belustigt über unsere eigenen Vorstellungen. Auch das ist ein Glück: wenn die Dinge anders sind oder kommen als man denkt.

Xiu Fanghzou überträgt meine Gedanken auf die chinesische Gesellschaft: „Als China sich öffnete, waren alle glücklich. Jetzt wollen die Chinesen so viel. Jetzt sind sie nicht mehr glücklich.“

© http://china-blog.simone-harre.de/

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1 Kommentar

  1. ein museum als ein „GLÜCKSVERSTÄRKER“……fühle mich beim lesen -filmgucken- dieser chinaepisode in meinem glück gestärkt

    und dann dieser letzte satz!

    impressionistische beobachtungen…..so als wäre man dabei gewesen

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